Die jüngsten Ereignisse in Frankreich deuten darauf hin, dass genau diese Web 2.0-Technologien offenbar dazu beigetragen haben, eine Welle von Unruhen in den Straßen aller größeren Städte des Landes auszulösen. Am 27. Juni 2023 wurde der 17-jährige Nahel M. in der Stadt Nanterre in der Nähe von Paris von zwei französischen Polizisten angehalten, die den Jugendlichen aufforderten, ihnen seinen Führerschein zu zeigen. Als Nahel M. sich weigerte und versuchte, sein Auto zu beschleunigen, schoss einer der Polizisten zweimal aus nächster Nähe auf ihn.

Kurz nachdem ein Video von seiner Ermordung auf Social-Media-Plattformen im Web 2.0 erschienen war, brachen in allen größeren Städten Frankreichs Unruhen aus. Lokale Polizeistationen wurden angegriffen, Büros von Bürgermeistern zerstört, Geschäfte geplündert und Straßen und Häuser verwüstet. Die Unruhen hielten etwa eine Woche lang an und beruhigten sich nur langsam. Am 5. Juli 2023 erklärte der französische Innenminister, dass die am 27. Juni 2023 begonnene Welle der Aggression bisher zu insgesamt 23.878 gewaltsamen öffentlichen Störungen geführt hat, wobei 12.031 Fahrzeuge und 2.508 Gebäude in Brand gesetzt oder attackiert wurden, darunter 273 französische Polizeigebäude, 105 Bürgermeisterämter und 168 Schulen. Es wurden 3.505 Ermittlungsverhöre oder Anklagen durchgeführt, wobei "die Mehrheit der strafrechtlich Verhörten oder Verfolgten" im überraschenden Web 2.0 revolutionären "Alter zwischen 17 und 18 Jahren" seien. Ganze 60% der Teilnehmer an den Unruhen hatten keinerlei kriminelle Vergangenheit oder Gerichtsakten, der jüngste unter ihnen war 11 Jahre alt.



Die Unternehmen der sozialen Medien stehen unter starkem Druck, gewalttätige Inhalte zu blockieren und zu zensieren. Twitter und andere haben in den letzten Jahren ausgefeilte Tools entwickelt, um die Verbreitung solcher Videos zu erkennen und zu minimieren. Warum dies im Fall des Videos von der Erschießung Nahels in Nanterre nicht geschehen ist, bleibt ein Rätsel. Noch rätselhafter sind jedoch die zahlreichen Videos, die nach Beginn der Unruhen in Frankreich im Juli 2023 auf revolutionären Web 2.0-Plattformen erschienen.

Nach Angaben des französischen Innenministeriums waren nur etwa 10% der Personen, die beschuldigt wurden, an den jüngsten Unruhen in Frankreich teilgenommen zu haben, Ausländer. Revolutionäre Web 2.0-Plattformen hingegen zogen offenbar ein größeres nicht-französisches Publikum an, es wurden eine Reihe von bemerkenswert gefälschten Videos verbreitet, die angebliche Ausschreitungen in Paris und anderswo zeigten. Dazu gehörten Videos von eher unzusammenhängenden Ereignissen im Jahr 2020 oder vom Brand eines großen Parkplatzes in Perth, Australien, der fälschlicherweise den Unruhen vom Juli 2023 in Frankreich zugeschrieben wurde. Ein hinduistischer Twitter-Nutzer postete Autos im freien Fall, nachdem sie vom Dach eines Parkhauses gestoßen worden waren, und behauptete, dies stünde im Zusammenhang mit den Unruhen in Frankreich - in Wirklichkeit stammte das Video von den Dreharbeiten zum Film Fast and Furious aus dem Jahr 2017. Ein anderer Twitter-Nutzer postete ein Video, in dem behauptet wurde, dass angeblich ein großes französisches Wohnhaus in Brand gesetzt worden sei. Ein anderer Kamerawinkel hätte leicht aufzeigen können, dass ein großer Baum in der Nähe des Hauses brannte und nicht das Gebäude selbst. Das Video eines Scharfschützen auf einem Dach eines Hochhauses, der angeblich auf die französische Polizei schießt, wurde fast 1 Million Mal angesehen. Es wurde als komplette Fälschung entlarvt, nachdem festgestellt wurde, dass der angebliche Scharfschütze eine so genannte Waffe benutzte, der nicht nur Patronen, sondern auch gleich noch ein kompletter Mechanismus zum Laden des Gewehres fehlten.

Während die Verbreitung von Videos und Bildern, die von nicht zusammenhängenden Ereignissen stammen, eine Sorte von Problemen darstellt, ist eine andere, völlig neue Kategorie von gefälschten Videos auf die jüngsten revolutionären Fortschritte im AI zurückzuführen. Die Qualität der von künstlicher Intelligenz erzeugten Videos ist inzwischen so hoch, dass sie von Live-Videos kaum noch zu unterscheiden sind.

Diese technologischen Entwicklungen scheinen sich auch irgendwie im französischen Sprachraum wiedergefunden zu haben. Ausländer haben oft Schwierigkeiten, das auf der Straße gesprochene Französisch zu verstehen, und müssen buchstäblich eine zweite Sprache lernen, nachdem sie mit einem ansonsten soliden Sprachniveau in Frankreich ankommen. Die jüngeren Generationen in Frankreich haben in den letzten Jahren auf kreative Weise einen parallelen Sprachraum entwickelt, mit Wörtern, die von einem anderen Planeten zu stammen scheinen als die, die ein im Ausland geschulter Sprachwilliger kennt:



Parallelgesellschaften haben auch Frankreich im Laufe des letzten halben Jahrhunderts langsam durchdrungen, insbesondere im wirtschaftlichen Bereich. Es ist immer schwieriger geworden, schlecht bezahlten Jobs zu entkommen. Reiche Eltern zu haben, scheint zunehmend der scheinbar einzige Weg zu sein, um sich in jüngeren Jahren mehrere Karrieremöglichkeiten zu sichern. In Frankreich haben Familien der dritten und vierten Generation sichtbar begonnen, ihren Reichtum zu schützen, indem sie sorgfältig wirtschaftliche Strukturen wählen, die häufig die einheimischen jüngeren Generationen und auch Einwanderer in erster Generation ausgrenzen. Das Ergebnis sind tief gespaltene Parallelgesellschaften, nicht nur in Frankreich.

In der Zwischenzeit sitzt N. in ihrer Mittagspause auf einer Bank auf der berühmten Champs-Elysee-Allee in Paris. Sie arbeitet in einem der teuren Bekleidungsgeschäfte in der Nähe und trinkt Coca-Cola aus der Dose, während sie gleichzeitig eine vegetarische Mittagsbox verspeist. Die ausländischen Urlauber können nicht widerstehen, einen Blick auf ihr schönes, angeblich so privilegiertes, weißhäutiges Gesicht und auf ihre Statue zu werfen. Sie hat ihr revolutionäres Web 2.0 Smartphone in einer Bar letzte Nacht vergessen, sagt sie. Die Mittzwanzigerin erzählt von ihrem Job und davon, dass sie ihren letzten langen Urlaub vor ein paar Monaten auf den Philippinen verbracht hat. Dorthin konnte sie reisen, weil sie ein günstiges Flugticket gesponsert bekam und Übernachtungen in Hostels dort etwa 5 Euro pro Nacht kosten. Ihr umwerfend schönes Gesicht wird jedoch plötzlich traurig, bevor sie zu ihrem schlecht bezahlten Job in einem elitären Bekleidungsgeschäft in der Nähe zurückkehrt: Sie erklärt, dass sie in ihrem eigenen Land nicht viel reisen könne, weil sie sich einen Urlaub in den verschiedenen französischen Regionen, die sie gerne für einige Zeit besuchen würde, einfach nicht leisten kann.


Ganz gewiss hat das Geschäft, in dem sie arbeitet, eine interaktive und sehr professionell gestaltete Web 2.0 Webseite.