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Das Wirecard Sommerloch
Über erpresste Geständnisse und bayerische Radionachrichten
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Das Wirecard Sommerloch

In den Jahrzenhten vor der Web 2.0 soziale-netzwerke Revolution gab es, zumeist unwissend für heutige jüngere Menschen, in der Medienlandschaft das sogenannte Sommerloch. Die Abwesenheit von vielen in den Urlaubsmonaten Juli und August auf der Nordhalbkugel der Erde wurde immer wieder durch eine skurrile Geschichte aus den Tiefen eines Sees in Schottland versucht zu überbrücken. Regelmäßig wurden abenteuerlichste Zeitungsartikel und Fernsehberichte aus Loch Ness veröffentlicht, die schattenhaft einige Gliedmaßen auf der Oberfläche des schottischen Tiefsees aufzeigen wollten, was es niemals gab: ein geheimnisvolles Ungeheuer, möglicherweise aus dinosaurischen Zeiten, dass unbemerkt Millionen von Jahre überlebt hatte und trotz mehrfachen Komplett-Infrarot-Scans des gesamten Sees tief im Dunkeln lebte. Sich schüchtern und erstaunlicher Weise immer nur im Juni, Juli oder August für wenige Sekunden auf der Oberfläche von Loch Ness präsentierend, wurde Nessi, so der Spitzname des Monsters von Loch Ness, bis heute niemals wirklich entdeckt oder gar gefangen genommen.

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Durchaus ähnlich verhielten sich die Sachverhalte in den Sommermonaten 2024 des brandneuen, angenehm kühlen und tief in die Erde eingebauten Gerichtsaals des Münchener Stadelheim-Gefängnisses. Mit Beginn der intensiven Frühlingssonne, die sich langsam in stechende Sommerhitze wandelte, begannen die Dinge insbesondere um Wirecards ehemaligen Chefbuchhalter von Erffa schon früh ziemlich heiß zu werden.

Am 2. Mai 2024 wurde durch die Verteidiger des Chefbuchhalters von Erffa am Ende der Vernehmung von Maria Lacruz-Muniz ein Antrag gestellt, um die Öffentlichkeit bei den wenige Tage später stattfindenden Darlegungen eines Autismus-Spezialisten auszuschließen. Von Erffa wurde in seiner Kindheit eine ADHS-Störung diagnostiziert, ein psychologischer Experte sitzt in regelmäßigen Abständen im Gericht und befragt immer wieder Zeugen nach Auffälligkeiten in den Verhaltensweisen von Erffas. Dieser Antrag auf Ausschluß der Öffentlichkeit wurde abgelehnt, weshalb nach monatelangen, weitestgehend leeren Presse-Stühlen am 6. Mai 2024 wie auf Knopfdruck bestellt der Gerichtsaal bis auf den letzten Platz mit Journalisten und anderen Zuhörern gefüllt war.

Massenmediale Berichterstatter hatten im Vorfeld sehr viel weniger die durchaus interessanten Details der Zeugenvernehmungen eruiert, sondern bereits vor Monaten immer wieder betont, dass nun angeblich "der Druck auf Wirecards ehemaligen Chefbuchhalter laste", von welchem man ganz dringend "ein Geständnis erwarte". Ende April wurde unter zumeist leeren Pressestühlen Wirecards so wichtiger Bankenchef Rainer Wexeler intensiv und aussagekräftig vor Gericht befragt, gefolgt von Buchhaltern und anderen aus der unmittelbaren Arbeitsumgebung von von Erffa, was in oberflächlichster Nessi-Weise mit wenigen Sätzen bei massenmedialen Vertretern gerade noch so erwähnt wurde.

Der Chefbuchhalter von Erffa deutete bereits am 2. Mai 2024 während der Befragung eines unter IT-Chefin Susanne Steidl agierenden, französischen Finanzanalysten an, wie er das kommende Auftauchen des Loch-Ness-Monsters beurteilen werde, was durchgängig alle massenmedialen Berichterfinder entweder verpassten oder ignorierten - besonders die aus München. Als es am 2. Mai 2024 darum ging, genau zu erläutern, wie der französische Zeuge in dessen schriftlichen Zeugenvernehmung dazu kam, von Erffa als, Zitat, "sexistisch und cholerisch" zu bezeichnen, verschwand Frederick Huber elegant wie die Kreatur aus Loch Ness in die Tiefen mit einem "mit mir nicht, man hat mit anderen in der Zeit der Insolvenz viel diskutiert und Presseartikel(!) kommentiert". Von Erffa reagierte still, aber deutlich erkennbar mit in den Himmel empor gehobenen Armen und Kopf.

Um diesen dringend nötigen Hilferuf in den Himmel in dunkelste Tiefen zurück zu beordern, wurde nun ganz offensichtlich der Pressesprecher des Landgerichts München aktiv. Nach sprichwörtlich monatelangen leeren Pressestühlen war der Saal, wie erwähnt, einige Tage später zu den Darlegungen des erwähnten Autismus-Experten punktgenau wie die Anordnungen der Rückenzacken des Loch-Ness-Monsters mehr als gut mit massenmedialen Journalisten aus einigen Nationen gefüllt.

Vielen ist die Rolle von gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Pressesprechern bis heute nicht klar, diese haben eine Schlüsselfunktion in der Formierung der öffentlichen Meinung. Um an die so wichtigen Informationen des Justizwesens zu gelangen, muss man die Pressesprecher kontaktieren, dort werden Listen geführt und Newsletter-artige Rundschreiben am Ende der Woche an zugelassene Journalisten verteilt. Ganz wichtige Informationen werden auch mal vorab verbreitet - natürlich nur an sogfältig ausgewählte Pressevertreter. Eine jegliche Zeile, die die Ungunst bei diesen Pressesprechern bewirkt, kann zur Folge haben, dass man sofort von den justiziären Verteilerlisten getrichen wird - wohl ein Grund, weshalb auch der Autor dieses Artikels nach einigen anfänglichen Wochen keinerlei bayerische Justizinformationen mehr erhält. Es ist ziemlich offensichtlich und eindeutig, dass hinter dem urplötzlich proppenvollen Saal vom 6. Mai 2024 niemand anders als der derzeitig blumige Pressesprecher des Landgerichts München stecken könnte, ja muss. Letzterer befand sich nämlich nach monatelanger Abwesenheit auch endlich wieder im Saal unter den vielen Monster-Schaulustigen.

Um Nessi endlich gefangen nehmen zu können, wurden so ab Ende Mai 2024 auch aus irgendwelchen urplötzlich-mysteriösen Gründen regelmäßig die bayerischen Radionachrichten aktiviert. Nicht nur der ausgesprochen bayerische Rundfunk, sondern auch andere Radiosender und einmal sogar das Fernsehen berichteten über die anstehenden Dinge um Wirecards ehemaligen Chefbuchhalter.

Äußerst skurril wurden die Dinge dann am 5. Juni 2024, als das Gericht hinter verschlossenen Türen mit dem ehemaligen Chefbuchhalter und dessen Verteidigern abtauchte, um danach in Loch-Ness-Erzählweise rasend schnell im Gericht vorzulesen, was man kurz zuvor im Dunkeln diskutierte: von Erffa wurden bereits viele Wochen vor dessen durchaus mit einer gewissen Spannung erwarteten, gerichtlichen Aussage sechs bis acht Jahre Haft in Aussicht gestellt - dies "abhängig von einem werthaltigen Geständnis", so der vorsitzende Richter Anfang Juni 2024. Wahrscheinlich erfolgte dies angesichts einiger am selben Tag im Gericht gestellten, durchaus bombig zu bezeichnenden Beweisanträgen seitens der Verteidigung von Dr. Braun.

Ohne das TPA-Geschäft mit einzubeziehen, stieg der Umsatz der Wirecard AG von ca. 290 Millionen Euro in 2014 auf ca. 980 Millionen Euro in 2018 und verdreifachte sich so, durchschnittlich stieg der Umsatz von 2014 bis 2018 jedes Jahr um die 35% im Nicht-TPA Geschäft. Auch der Rohertrag aus Nicht-TPA-Geschäften stieg von 2014 bis 2018 enorm an und verdreifachte sich von 150 Millionen Euro in 2014 auf 400 Millionen Euro in 2018. Dies, trotz der bilanzbelastenden Übernahme des Portfolios der Citi Bank in 2016. Insgesamt wurden im Nicht-TPA-Geschäft von 2014 bis 2018 ungefähr 1,3 Milliarden Euro erwirtschaftet, der gesamte Nicht-TPA Bereich sei damit enorm profitabel gewesen und das Gegenteil von defizitär. Dies sei auch daran zu erkennen, dass in 2015 eine Rohertrags-Marge vor der CitiBank-Übernahme im Nicht-TPA Bereich mit ca. 55% sogar über der des TPA-Geschäfts lag.

Beweisantrag im Wirecard-Gericht vom 5. Juni 2024

Ab Mitte Juni 2024 ging es Schlag auf Schlag. Am 19. wurde ein Anwalt von Gibson Dunn befragt, der für die rechtlichen Belange für die nach außen so wichtigen Ad-Hoc Meldungen von April und Mai 2020 während KPMGs Sonderprüfungen zuständig war. Es folgten Schlüsselvernehmungen von Mitarbeitern der Commerzbank, die belegen, dass man die FIU sehr wohl frühzeitig über Geldwäschetransaktionen unterichtet hatte, wo man einige davon dann zeitnah an das LKA in Bayern weitergab. Eine Anwältin von Clifford Chance wurde am 3. Juli 2024 vernommen, dort eruierte man ziemlich wichtige Sachverhalte um Wirecards Aufsichtsrat - besonders um dessen Vorsitzenden. All dies, während viele Massenmedien weiterhin die Realitäten unterdrückten und immer wieder betonen, dass dies zwar alles ganz interessant sei, man aber natürlich gespannt auf das baldige Geständnis des Chefbuchhalters von Erffa warte.

Praktisch komplett massenmedial ignoriert wurden natürlich auch die im Gericht für alle Anwesenden extra langsam verlesenen Darlegungen der Verteidigung Dr. Brauns aus einem Beweisantrag der ersten Juli Woche. Darin wurden die "Falschdarstellungen und Verschleierungen des Angeklagten Bellenhaus" exponiert, der "das Gericht mit unzähligen Falschinformationen" überhäufe, so Dr. Brauns Verteidigerin. Der von Bellenhaus selbst erfundene Begriff des "Bullshit-Bingos" sei durchaus anwendbar auf die Antworten eines Fragenkatalogs, welchen von Erffas und Dr. Brauns Verteidiger vor gut einem Jahr dem staatsanwaltschaftlichen Kronzeugen übergeben hatten. Bellenhaus "spiele den Aufklärer, verdunkele aber". Die "größten Erinnerungslücken habe Bellenhaus, als es um die Zahlungen in Höhe von ca. 340 Millionen Euro von jeweils einem Konto der Firstline, der CQR Services und des Drittpartners PayEasy an die Pittodrie Finance gehe", so die Verteidigerin von Dr. Braun damals weiter. Weder wolle Bellenhaus wissen, wer die Zahlungen an die Pittodrie überwies, noch was der Hintergrund dieser gewesen sei.

CQR, Firstline und Testro wurden nicht verkauft, sondern von Bellenhaus und Marsalek kontrolliert, die Konten der PayEasy und Centurion wurden von Christopher Bauer betrieben. Gelder, die über die Konten der PayEasy, Centurion, CQR, Firstline und Testro geflossen sind, sind weitestgehend keine Händlererlöse, sondern Kommissionszahlungen aus dem TPA-Geschäft, welche veruntreut wurden. Oliver Bellenhaus hat in allen Punkten gelogen, um den echten Tathergang einer Veruntreuung des TPA-Geschäfts zu verschleiern; dies, damit durch seine angebliche Aufklärungshilfe ein geringeres Strafmaß für ihn erwirkt werden kann.

Beweisantrag der Verteidigung von Dr. Braun, verlesen im Gericht am 4. Juli 2024

Ab Mitte Juli 2024 war es dann soweit. Der Chefbuchhalter trug seine schriftlich niedergelegten Erklärungen an insgesamt drei Verhandlungstagen vor. Was er dabei von sich gab, erinnerte wirklich neutrale Gerichtsbeobachter dann aber so gar nicht an ein Geständnis, sondern vielmehr an Beiträge zu einer Aufklärung des Skandals. Wohl mit am interessantesten waren die Darlegungen des ehemaligen Chefbuchhalters vom 22. Juli 2024. Dort erklärte von Erffa u.A., dass ein Münchener Hotel, in dem er angeblich laut Ausführungen des Kronzeugen Bellenhaus "Rechnungen gefälscht" habe, erst nach(!) deren Rechnungs-Kalenderdaten eröffnet worden sei.

Schon aus datumstechnischen Gründen hätte so ein angebliches Fälschen der Rechnungen nicht möglich gewesen sein können, da das Hotel am Schwabinger Tor erst am 25. Februar 2019 eröffnet wurde, von Erffa wirft den entsprechenden Nachweis auf den Projektor. Bellenhaus habe im Gericht vor einigen Monaten auf Anfrage des Richters angegeben, dass er sich an ein angeblich explizit ins Hotelzimmer gebrachtes Essen und dessen Rechnung erinnere. Der Hotelmitarbeiter führte dagegen aus, dass es sich um ein Essen im Restaurant handelte.

Darlegungen des ehemaligen Chefbuchhalters von Erffa vom 22. Juli 2024

Von Erffa erklärte in seinen Darlegungen auch, dass er bereits am 25. Juni 2020 bei Oberstaatsanwältin Hildegard Baumler-Hösl, Oberstaatsanwalt Bühring sowie einem Kriminalhauptkommissar aus München freiwillig in den Räumen der Strafverfolger vorstellig geworden war. Er hatte damals bereits eine Beschreibung des Drittpartner-Modells für seine Anwältin erstellt und an Hand der Abrechnungen der TPA ihr die Verbuchung erläutert, von Erffa hatte Kopien von Abrechnungen und Saldenbestätigungen den Münchener Staatsanwälten am 25. Juni vorgelegt. Zwei Tage später fand trotz alldem eine Hausdurchsuchung bei ihm zu Hause statt, bei der Abrechnungen konfisziert wurden - man rückte mit insgesamt sechs Beamten an. Der Chefbuchhalter wörtlich: "Sämtliche elektronischen Geräte wurden von mir mit Passwörtern übergeben. Ich wurde dann vor den Augen meiner Frau und den Kindern festgenommen und abgeführt. Das war ein enormer Schock für die ganze Familie".

Nach einer gerichtlichen Sommerpause von ca. 3 Wochen begann dann der Richter Anfang August mit seinem Kreuzverhör des Chefbuchhalters. Einige Gerichtsbeobachter verließen den Gerichtsaal noch vor der Mittagspause im Protest, angesichts der wilden Befragung des Münchener Gerichts.


Das monatelange Wirecard-Sommerloch offenbarte in der Tat ein riesiges Monster, welches eng verknotet mit massenmedialen Journalisten und Justizbeamten selektiv und gezielt Menschen verleumdet und anklagt, diese jahrelang degradiert, ignoriert und mehr oder weniger beliebig aus der Gesellschaft ausgrenzt. Es ist an der Zeit, dieses Monster endlich gefangen zu nehmen, es auszuhöhlen und in einem Museum als Relikt vergangener barbarischer Zeiten der Öffentlichkeit zu präsentieren. Als Erinnerung daran, so etwas nie wieder zuzulassen.







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