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Der Dritte Mann
Über Wirecards Interim-CEO James Freis und tolle Schuhe
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Der Dritte Mann

In der britischen Verfilmung von Graham Greenes Buch "Der dritte Mann" aus dem Jahr 1949 wird die österreichische Hauptstadt Wien zum Zentrum der Aufdeckung eines Verbrechens an Kindern. Nach seiner Ankunft in der Stadt erfährt Holly Martins, dass er einen von seinem Freund Harry Lime angebotenen Job nicht annehmen kann, da dieser einige Tage zuvor gestorben war. Der Unfalltod wird bald zu einem fragwürdigen Ereignis, da Martins herausfindet, dass ein fremder dritter Mann die Leiche getragen hatte, nur um dann festzustellen, dass Lime gar nicht gestorben war. Martins und Limes Freundin Anna Schmidt stellen weitere Nachforschungen an und finden heraus, dass Lime Penicilin verdünnt und auf dem Schwarzmarkt verkauft hat, wodurch Dutzende unschuldiger Kleinkinder starben. Lime und Martins landen schließlich in dem berühmten Wiener Riesenrad, wo Martins Lime aus Notwehr tötet, nur um zu erkennen, dass Anna Schmidt ihn von nun an für immer ignorieren würde. Die Geschichte und die Handlung nehmen auf unterschwellige Weise die kommende Atmosphäre des Kalten Krieges in Wien des Jahres 1949 vorweg; der Film wurde Jahre später zu einem der besten Filme aller Zeiten gekürt.

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Auf eine nicht ganz unähnliche Art und Weise enthüllte eine kürzliche Gerichtsverhandlungs-Befragung einen solchen seltsamen dritten Mann. Am 27. April 2023 wurde der ehemalige Interims-CEO von Wirecard James Freis in den Zeugenstand gerufen, um eine weitere Runde von Enthüllungen über Deutschlands und insbesondere Bayerns FinTech-Debakel von vor drei Jahren preiszugeben. Der US-Amerikaner James Freis, welcher fließend Deutsch spricht, redet vor Gericht in der lokalen, durchaus auch bayerischen Landessprache.

James Freis wurde nach dem desaströsen öffentlichen Video-Statement vom 18. Juni 2020, in dem der Vorstand bekannt geben musste, dass 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten in Übersee fehlten, als Interims-CEO für Wirecard nominiert. Wirecard-CEO Markus Braun wurde am 18. Juni als CEO entbunden, Stunden später wurde James Freis ernannt, der den Kamikaze-Job unverzüglich antrat. Freis war einige Monate zuvor dem Ruf von Wirecard gefolgt, die neu geplante Compliance-Abteilung zu leiten, er kam von einer gut dotierten Stelle bei der Deutschen Börse AG, wo er Compliance-Sachverhalte leitete und überwachte. Warum er den Wirecard-CEO-Job ab dem 18. Juni 2020 annahm, bleibt mindestens merkwürdig und durchaus auch fragwürdig.

Am 27. April 2023 wird es nach der Mittagspause im Münchner Strafvollzugs-Gerichtssaal interessant: James Freis wird von einer Anwältin zu seiner am Vortag verlesenen Gerichtsaussage befragt. Ob er denn wisse, welche konkreten unternehmerischen Maßnahmen das Wirecard-Debakel hätten verhindern können, wird er gefragt. Man würde eine klare, eindeutige Antwort erwarten, doch Freis beginnt vor Gericht, die Fragen auf eine recht merkwürdige Art und Weise zu umkreisen, dies mit zunehmender Umkreisungsrate bei den Folgefragen. Erst nach mehrmaligem Umformulieren bestätigt Freis, dass die Buchhaltung von Wirecard unzureichend war, ebenso wie die unternehmensinterne Rechtsabteilung und Revision. Der Frage, durch welche konkreten Maßnahmen das Wirecard-Debakel hätte verhindert werden können, weicht er mehr oder weniger aus und beantwortet dies indirekt durch notwendige Folgefragen.



Jeder, der mit dem Fall Wirecard halbwegs vertraut ist, muss über diese Art von Zurückhaltung in Freis' Antworten erstaunt gewesen sein, da dessen Lebenslauf eine Fülle von hochkarätigen Berufserfahrungen auflistet. Seine Karriere begann er nach dem Jurastudium an der Harvard University nicht in den USA, sondern 1995 bei der deutschen Bankenaufsicht. Bald wechselt er zur Bayerischen Vereinsbank in München, die heute als korruptionsgeplagte Hypo-Vereinsbank bekannt ist. 1996 kehrt Freis in die USA zurück, wo er bei der Federal Reserve Bank als Anwalt arbeitet. Die meisten Menschen haben immer noch die naive Vorstellung, dass die Federal Reserve eine staatlich-föderale Organisation ist. Das ist sie aber weniger, sondern eher ein Bankenkartell, das 1913 gegründet wurde.

Freis bleibt etwa drei Jahre bei der Fed, um die Vereinigten Staaten erfolgreich in einem Streit mit der iranischen Zentralbank zu verteidigen und wird 1999 in die Schweiz versetzt, um die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich - auch 'Bank aller Zentralbanken' genannt - zu unterstützen. Im Jahr 2007 wird er zum Direktor des FinCEN befördert, der amerikanischen Aufsichtsbehörde für Geldbetrug, welche dem US-Finanzministerium untersteht. Er leitet das FinCEN insgesamt fünf Jahre lang und wird als einer der dienstlängsten Direktoren aller Zeiten ausgezeichnet, bevor er im September 2012 abgelöst wird.

Freis leitete die Finanzaufsichtsbehörde FinCEN auch in den Jahren 2008 und 2009, als Mastercard und Visa öffentlich Millionenstrafen gegen Wirecard wegen angeblich illegaler Geldwäschetransaktionen verkündeten. Vielleicht war James Freis mit anderen Fällen sehr beschäftigt und hatte die wehenden roten Fahnen über Wirecard übersehen. Das wäre einige Jahre später Mitte 2010 eher unmöglich, als eine Whistleblower-Organisation namens GoMoPa im Zusammenhang mit dem Geldwäschefall von Michael Schuett in Florida erneut die rote Fahnen über Wirecard aufzog. Schuett, der im November 2010 in den USA verurteilt wurde, war indirekt mit den britischen Tochtergesellschaften von Wirecard verbunden. In einem merkwürdigen Rückzugsschema änderte GoMoPa seine anfänglichen Behauptungen, nachdem es wahrscheinlich auch das FinCEN informiert hatte,
In seinem letzten Satz fragt Dr. Braun, ob James Freis herausgefunden hätte, dass in den Monaten vor der Wirecard-Insolvenz am 25. Juni 2020 mindestens 156 Millionen US-Dollar von einem bestimmten Treuhandkonto einer bestimmten Firma abgeflossen seien. Freis verneint erneut.
um dann die Behauptungen gegen Wirecard komplett zurückzunehmen - die sich später als größtenteils wahr herausstellten. Der Fall wurde damals elegant um Wirecard herumgeleitet, das Aschheimer Unternehmen blieb wie ein unschuldiges Neugeborenes unangetastet. Auch die bayerische Staatsanwaltschaft in München stellte ihre Verfahren ein, all dies während Freis das FinCEN leitet.

Hier im Münchner Strafvollzugs-Gericht wird es wieder interessant, als Freis gefragt wird, ob er den Eindruck habe, dass bei Wirecard ein 'heimlicher CFO' hinter den Kulissen gewirkt hätte. Freis ist sichtlich überrascht und versucht, den Eindruck zu erwecken, nichts verstanden zu haben. Er muss zwei-, dreimal nachfragen, worauf sich dieser 'geheime CFO' denn genau beziehen würde, dies sogar, nachdem die Frage auf Englisch gestellt wird. Er gibt allerdings einige interessante Einblicke in die seltsame Wirecard-Buchhaltungspraxis, wonach die Geschäftsführer große Verträge nicht abzeichnen mussten. Er hatte nie ein Treffen mit KPMG und erzählt dem erstaunten Publikum ebenso, dass die Wirtschaftsprüfer von EY bis zur letzten Minute davon vollends überzeugt waren, die Bilanzen für 2019 so genehmigen und abzeichnen zu können, wie sie damals waren. Schließlich erklärt Freis, dass die Bilanzierungspraktiken von Wirecard seiner Meinung nach "schlampig" waren.

Der ehemalige Wirecard-Vorstandsvorsitzende Dr. Markus Braun dürfte diesem Urteil zugestimmt haben. Am Ende von Freis' Vernehmung fragt er seinen Nachfolger hier im Gerichtssaal persönlich, ob er sich daran erinnern würde, Freis am 18. Juni 2020 in sein Büro eingeladen zu haben. Freis verneint und antwortet, dass er sich nicht erinnern könne. Braun fragt noch einmal nach, er verweist auf das Treffen in seinem Büro nach der Produktion des berühmten Videos, in dem Wirecard bekannt geben musste, dass 1,9 Milliarden fehlten. Freis schaut Braun an und antwortet, dass er sich immer noch nicht daran erinnern könne, nur dass er Braun am 18. Juni 2020 getroffen habe, dass der Ex-CEO auf ihn herabblickte und vor Freis sagte: "Tolle Schuhe!".

Dr. Braun ist überrascht und erklärt dem Publikum, es sei in der Tat seltsam, dass Freis sich nicht an das Bürotreffen erinnern würde, da, Zitat, "ein dritter Mann" ihn und Freis dorthin begleitet hätte. In seinem letzten Satz fragt Dr. Braun, ob James Freis herausgefunden hätte, dass in den Monaten vor der Wirecard-Insolvenz am 25. Juni 2020 mindestens 156 Millionen US-Dollar von einem bestimmten Treuhandkonto einer bestimmten Firma abgeflossen seien. Freis verneint erneut.


Fast so wie Martins und Lime im Wiener Riesenrad in dem britischen Film "Der dritte Mann" von 1949, einem der größten Filme aller Zeiten.









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