Wirecard eingetütet, Staffel 1: Dritte Episode, Die Anträge

Ein investigativer Podcast über den Wirecard-Skandal im Münchener Stadelheim-Gerichtsaal

Eine weitere Folge des 'Wirecard eingetütet' Podcasts, es geht in dieser Staffel 1 um detaillierte Insiderdarlegungen zum weit über einem Jahr lang andauernden Verfahren des Landgerichts München im Stadelheim-Gefängnis-Gerichtssaal.

Dies ist die dritte Episode über das Wirecard Gerichtsverfahren, weitere folgen so im 2 bis 3 Tage Rhythmus.

Inhalt:
Das Bild des Millionenanwalts (→ ab 01:30)
Hey Leute, es geht hier um den größten Finanzskandal (→ ab 02:22)
Was die Verteidigung da vortrug, passte (→ ab 03:49)
Die Zeugen der Sonderkommission (→ ab 04:34)
Ich habe eine verzweifelte Mail verschickt (→ ab 05:27)
Diese Firma in Hong Kong (→ ab 07:38)
Da gehts um 340 Millionen Euro (→ ab 08:25)
Die späten Finanztransaktionsdaten und Auslandskonten (→ ab 09:47)
Es wird noch skandalöser (→ ab 11:07)
Warst Du bei James Freis' Vernehmung ? (→ ab 11:48)

Staffel 1, Episode 3

Wirecard eingetütet - Das Gerichtsverfahren

00:00

Hier der Link zum im Podcast erwähnten Artikel über die Vernehmung des interim CEOs James Freis von April 2023:
Der dritte Mann - Über Wirecards interim CEO James Freis und tolle Schuhe

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Episode 2 - Der Prozessbeginn

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Episode 4 - Die Insolvenz

Transkript

(Musik)

Wirecard eingetütet, der Sun24 News Podcast, Staffel 1, Episode 3. 

Jörg: Aber kommen wir darauf zurück, es gab vor Prozessbeginn einen 300 Seiten langen Nichteröffnungsantrag, den kein Mensch kennt. Und ich glaube nicht, dass da nur das Telefonbuch drin stand. 

Martin: Für Leute, die vielleicht mit dem juristischen Jargons weniger bewandt sind, bedeutet dies, dass man einen Antrag stellt, das gesamte Gerichtsverfahren erst einmal zu stoppen und auf Eis zu legen, um gewisse Sachverhalte erst einmal zu prüfen, bevor man hier weiter in dem Gerichtsverfahren weiter herum muddelt. Ich war selber anwesend, also ich kann mich daran erinnern, dass der Dierlamm seine Sachen vorgelesen hat und dann aufgestanden ist, von seinem Stuhl, mit lauter Stimme auf, mit dem Finger auf, die Staatsanwaltschaft ihm gegenüber gezeigt hat. Und laut drei oder vier Vertreter der Staatsanwaltschaft angebrüllt hat und diesen Staatsanwälten vorgeworfen hat, dass sie das Problem seien. Unter anderem, und verantwortlich seien für Dinge, die hier passiert sind, die skandalös sind und er sofort hier eine Aussetzung des Verfahrens beantragt. Ich war also, geschockt ist noch gelinde gesagt. Wie hast du das so erlebt? Kannst du dich noch daran erinnern? 

Jörg: Ich muss dazu sagen, ich hatte diese ganze inhaltliche Braun-Verteidigung da noch nicht auf dem Schirm. Das kam ja dann relativ schnell im Prozessverlauf. Aber vorher, als der Prozess begonnen hat, da hielt ich das für Gepolter. Hast du die Artikel gelesen über Dierlamm ? Dierlamm, der poltert mit Macht und sonst wie. Es war ganz klar das Bild, das gezeichnet wurde vom Dierlamm, dem Millionenanwalt, der hier quasi eine nicht vorhandene Verteidigung laut präsentiert. Und das war mein Stand zu dem Zeitpunkt. Und dann kam Stück für Stück in den nächsten Wochen ein, es ist mal ein Name genannt worden von der Firma. 

(Musik)

Jörg: Die Firmennamen wurden sehr entscheidend, die da gefallen sind, weil sie mir natürlich immer was sagten und weil es für mich sehr überraschend war. Und ich war dann immer fassungslos, wenn im Blog der Wirtschaftswoche stand, na ja, viele Firmen, viele Namen. Oder wenn so Sachen, ach, jetzt wird es zu technisch, das erspare ich Ihnen jetzt. Zur Technik kommen wir vielleicht noch. Also ich habe mir gedacht, hey Leute, es geht hier um den größten Wirtschaftsprozess Deutschlands. Und hier ist jedes Detail wichtig, so komplex wie das Verfahren ist. Und das hat zu Irritationen geführt. 

Martin: Absolut, absolut.

Jörg: Und was auch noch sehr früh war, ich saß dann in Stadelheim, irgendein Folgetermin, im März, und war da den ganzen Tag gesessen. Und abends kamen dann Zeitungsberichte über diesen Prozesstag. Und als ich die gelesen habe, dachte ich, ich war woanders. Und ich glaube, das ist ja dir auch relativ schnell aufgefallen. 

Martin: Ja, ich komme aus einer anderen Ecke. Ich habe diese Berichte praktisch übersprungen, weil ich ja unabhängig journalistisch tätig bin und sowieso eine eher kritische Meinung gegenüber vielen meiner Kollegen, soll ich sie nun so nennen, habe. Und bin da einfach relativ neutral, sage ich mal, Mitte Dezember in dieses Gerichtsverfahren gegangen. Und war dann wirklich schockiert über die Art und Weise, wie Dierlamm die Sachen vorgetragen hat. Also ich habe einen guten Riecher dafür und beobachte dann, wie die Darlegung einer Person mit den Inhalten zusammenpasst. Und was der Dierlamm da vorgetragen hat, so ab Anfang Februar, war wirklich unglaublich. Das passte. So kann man nicht agieren, wenn man nur Show macht, wenn man nur versucht, etwas herauszupoltern, was nicht ist. Sondern da steckte wirklich auch Wissen und Begeisterung und volle Überzeugung auch dahinter. Anders war das für mich nicht mehr erklärbar. So und dann ging es los, richtig so ab März eigentlich, dann begangen die ersten Beweisanträge. Also Anträge, die der Dierlamm dann auch per Schriftstück, dann per Dokument eingereicht hat und auch vorgelesen hat, viele von denen. Kannst du dich da noch dran erinnern, wie es dann abging? 

Jörg: Ich muss mal kurz überlegen. Ich glaube, es gab einen ganz entscheidenden Termin. Ich weiß nicht, ob du da da warst. Da waren die Beamten der Sonderkommission da, Anfang März. 

Martin: Nein, da war ich leider nicht da. 

Jörg: Das Erstaunliche war, dass Dierlamm kritische Fragen zu den Ermittlungen gestellt hat. Zum Beispiel das und jenes Ermittlungsergebnis, wie kam es dazu, dass das so und so in den Akten steht. Und dann sitzen da die Leiter der Ermittlungen, der Sonderkommission, die den Fall ihres Lebens auf dem Schreibtisch haben, den größten Wirtschaftsprozess Deutschlands, ich sage es nochmal. Die sitzen in Stadelheim, schauen und sagen, kann ich mich nicht erinnern. Weiß ich nicht mehr. Du lachst, du lachst. Mir ging es ähnlich. Ich glaube sogar die Bäumler-Hösel war auch da an dem Tag. Ich meine sie war im Gericht, also hinten gesessen im Zuschauerraum. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich ging raus und war fassungslos. Und meine Reaktion, man muss sich denken, zu dem Zeitpunkt dachte ich, die vermasseln die Verurteilung von Braun, diese Staatsanwaltschaft vermasselts. Und was habe ich gemacht? Ich habe eine Mail, eine verzweifelte Mail an die Staatsanwaltschaft geschrieben. Ich habe geschrieben, hey Leute, der Dierlamm hat in wunde Punkte gelangt, ihr wirkt total hilflos. Das läuft ja völlig schief. Können wir nochmal reden, weil ich so fassungslos war. Aber wie gesagt nochmal, ich war da absolut noch davon überzeugt und immer noch der Meinung, dass das ganz klar Dierlamm blufft im Prinzip. 

Martin: Ich war nicht an diesem besagten Tag da, aber ich bin dann, spätestens dann, da kann ich mich noch sehr gut dran erinnern, auch auf dich verstärkt aufmerksam geworden. Also ich kannte dich vorher schon von dem Film. Du bist ja auch Teil dieser Sky-Doku gewesen, den viele Leute kennen. Mitte 2021 kam der Film raus über Pav Gill. Und der Jörg war da Protagonist, war Teil dieses Films. Ist auch auf den gewissen Szenen zu sehen, wie er da interviewt wird, als der Experte, der das Wissen über Wirecard hat. Und ich weiß noch ziemlich genau, dass deine Veröffentlichung, die du auf Social Media gepostet hast, von dieser Soko-Sonderkommissionsvernehmung, dass die mich dann auch verstärkt auf dich gebracht haben, die mir gesagt hat, der sieht das ähnlich wie ich. Da muss irgendwas gigantisches kommen. Entweder sind wir total jetzt hier vernebelt, und wir müssen selber irgendwie bei uns die Fehler suchen oder es wird was ganz Großes passieren oder kommen, was keiner erwartet hat. 

(Musik) 

Martin: Und dann kam ja aber langsam auch der April. So und im April 2023 gab es dann diesen berühmten Beweisantrag von Dierlamm bezüglich einer Schweizer Firma und einer Hongkonger Firma. Die dann genannt wurden in einem Beweisantrag. Und da war für mich dann ab diesem Tag klar, dass hier eine Riesen-Story zu entdecken ist. 

Jörg: Ja, das waren die zwei Firmen, die dann irgendwann, ich weiß das Datum nicht mehr, vom Bayerischen Rundfunk aufgegriffen wurden. Ich kann mich noch erinnern, diese Firma in Hongkong, sollen wir den Namen nennen? Pittodrie Finance, glaube ich, heißt sie. Und die Schweizer ist die Monte-Firma? Tschuldigung. 

Jörg: Ja, aber hör zu. Ich habe wie immer, wenn ich einen Firmennamen gehört habe, also ich habe hier auch Journalisten geschrieben, Mails geschrieben, wurden heute Firmennamen genannt. Ich habe die alle gecheckt, auch wenn ich nicht im Gericht war. Pittodrie für 10 Euro, glaube ich, 9 Euro, habe ich mir den Handelsregisterauszug in Hongkong besorgt, mit Kreditkarte, der gezahlt wurde in Hongkong. Und schaue da rein und dann stehen da welche Schweizer Namen drin. Und dann dachte ich, äh, hello. Und habe angefangen die Schweizer Namen zu googeln und dachte, ey. Es war sehr erstaunlich, das habe ich ja später im Laufe der Zeit dann immer von Dierlamm und Braun gehört. Aber man hätte das ja eigentlich sofort nachlesen können. Das hätte 5 Minuten gedauert. 

Martin: Nicht dass da jemand in Hongkong anruft und dann sagt jemand, ja Grüezi wohl, odrrr. 

Jörg: Martin, da geht es um 340 Millionen Euro. Nur in diesem Fall, 340 Millionen, ist mehr als ein Drittel von dem gesamten Geld, das der Michael Jaffe in seiner großartigen Verscherbelaktion der Wirecard zusammengebracht hat. Mehr als ein Drittel. 

Martin: Und ein Sechstel der fehlenden 1,9 Milliarden.

Jörg: Wo kommen Sie denn her? 

Martin: Ich bin fast vom Hocker gefallen, als ich diesen Beweisantrag gehört habe. 

Jörg: Ja und das Spannende ist, also ich meine, worum geht es? Also mir geht es bei Wirecard nicht ums Geld. Aber ich glaube der Schaden oder die ganze Diskussion geht ziemlich viel um Geld. Und dann fliegen da, ich weiß nicht, was war die erste Zahl? 2 Milliarden, glaube ich, die Dierlamm zunächst genannt hat, die da rumfliegen. Und ich höre überall, ich glaube der Kommentar zu dem Beweisantrag von Dierlamm von einem Journalisten, ich nenne keinen Namen war: ich fragte, was steht denn drin? Und bekam als Antwort, derselbe Quatsch, den der Dierlamm seit Monaten erzählt. Da sage ich, hey, wieso Quatsch? 

Martin: Wir müssen zurückgehen bis auf den Anfang des Gerichtsverfahrens, Dezember, Januar 2022, 2023. Also die ersten Termine, als der Deirlamm dann, nachdem die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift verlesen hat, aufstand und loslegte. Und der Dierlamm hat damals in einen seiner ersten Tagen, in denen er sich präsentieren konnte, gesagt, dass, man höre und staune, die Staatsanwaltschaft München zum allerersten Mal überhaupt, in diesem gesamten Verfahren, in dem gesamten Ding seit Mitte 2020, die Finanztransaktionsdaten, also die digitalen Fußstapfen dieses gesamten Wirecard-Unternehmens, an die Verteidigung zweieinhalb Wochen vor Prozessbeginn das erste Mal überhaupt übergeben hatte.

Jörg: Es geht noch weiter, es geht noch weiter. Sie haben auch irgendwann gesagt, dass Sie erst im September 2021 begonnen haben, die Auslandskonten anzuschauen. Und dann noch eine zweite Sache, die später herauskam, die mich auch völlig fassungslos, Sie haben sich Konten angeschaut, auf denen die Verteidigung später, ich glaube im dreistelligen Millionenbereich Zahlungen gefunden hat. Sie haben sich diese Konten angeschaut, diese Zahlungen nicht beachtet. Was Sie gemacht haben, war Round-Tripping gesucht über fünf Millionen. Und nebendran 100 Millionen übersehen, ignoriert, keine Ahnung - ich war fassungslos. Das gibt es doch nicht. 

Martin: Was danach dann passierte, war dann für mich nochmal, ich habe schon gedacht, es geht nicht mehr katastrophaler oder skandalöser. Die Staatsanwaltschaft weigerte sich in den Wochen danach auf diese Beweisanträge zu antworten. Als ich das gehört habe, habe ich gedacht, die Staatsanwaltschaft kommt morgen raus und macht ein Statement, der Richter sagt, das Gerichtsverfahren ist beendet, wir müssen wirklich das ganze Verfahren auf Eis legen und die Dinge prüfen. Und nichts ist passiert. Das war das Erste, was passiert und dann kam noch was. Aber wie hast du das gesehen? 

Jörg: Das ist total spannend für mich, weil du warst da von einem ganz anderen Stand kommend als ich, schon viel kritischer dem Verfahren gegenüber. So richtig kritisch war ich da noch nicht. Ich habe es nur nicht verstanden. Ich war irritiert. Ich war hoch irritiert. Ich weiß nicht, warst du bei James Fries? 

Martin: Ja, da war ich da. 

Jörg: Ich glaube, da haben wir uns auch getroffen. Das war ein Knaller insofern, als man in der deutschen Presse einen Bericht über die zwei Tage lesen konnte, wo ich mir auch mit einem Journalist der Süddeutschen, wir wären uns ja fast an die Grügel gegangen, weil ich gesagt habe, wie könnt ihr diese zwei Tage Befragung so verzerrt darstellen? Und er dann sagte, du musst mir als Journalist das Recht geben, Schwerpunkte zu setzen. Du warst da, es gab einen holländischen Artikel, in dem etwas völlig anderes drin stand. Also das war ja dieses Thema Medien, da werden wir sicherlich noch drauf kommen. Aber nochmal, ich war da noch nicht so kritisch wie du eigentlich. Das ist sehr erstaunlich jetzt für mich im Nachgang, das nochmal anzuschauen. 

Martin: Du hast jetzt schon den zweiten Schock praktisch vorgenommen. Also der erste Schock war wirklich, dass die Staatsanwaltschaft nach diesen Hammerbeweisanträgen relativ passiv blieb, inaktiv, das Gericht ebenso, wo man erwartete, das Verfahren muss jetzt beendet werden. Das ist der Wahnsinn, was da gefunden wurde. Also man muss sich vorstellen, eine Staatsanwaltschaft weigert sich, auf hunderte von Millionen gefundener Gelder auf irgendwelchen Steueroasen, Paradiesen, Ländern mit laxen Bankengesetzen zuzugreifen. Die Büros da irgendwie mal zu durchsuchen von diesen Firmen. Nichts ist da irgendwie passiert, bis heute eigentlich nicht, wenn ich mich nicht irre oder vielleicht weißt du da mehr. Das war das Erste, was ich völlig unverständlich finde. Und das Zweite war dann wirklich, und das hast du gerade ein bisschen vorweggenommen, die Art und Weise, wie massenmediale Berichterstatter weiter über diesen Prozess berichteten. Die sind praktisch dort stecken geblieben, wo du schon 2022, im März 2022, da Deine Beobachtung hattest dass eine Verurteilung durch die massenmediale Presse schon damals stattfindet und die sich kaum weiter bewegt hatten, egal was da hatte ich den Eindruck im Gerichtsaal passierte.

(Musik)

Sprecher:
Jörg - langjähriger Wirecard-Experte und Aufklärer
Martin - Investigativer Lead bei Sun24 News und Wirecard-Experte

Organisation und Realisierung:
Martin D. / Sun24 News

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Dieser Artikel wurde vollständig von Martin D., akkreditierter, unabhängiger, investigativer Journalist aus Europa verfasst. Er arbeitet nicht für ein Unternehmen oder eine Organisation, das/die von diesem Artikel profitieren würde, er berät solche nicht, besitzt keine Anteile an diesen und erhält bis dato auch keine finanziellen Mittel von solchen.

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